Archiv des Autors: Olaf Schütte

„Etwas für sich gewinnen“ – Interview mit Prof. Richard Münchmeier

Richard Münchmeier war Professor für Sozial- und Jugendpädagogik in Kassel, Leipzig und an der FU Berlin, leitete die Abteilung für Jugend- und Jugendhilfeforschung am Deutschen Jugendinstitut und war langjähriges Mitglied im Bundesjugendkuratorium.

Prof. Richard Münchmeier hielt das Impulsreferat auf dem Fachtag Freiwilligendienste – Was ist uns Bildung wert? zum 50. Jahrestag der Freiwilligendienste am 20. März 2014 in Magdeburg

Fruchtfleisch: Was bedeutet für dich Freiwilligendienst?

„QUALIFIZIERUNGSJAHR“
„SICH AUSTOBEN“
„ENTWICKLUNGSSCHRITT“
Christian Tischer, 23 Jahre:
„Freiwilligendienst ist ein Qualifizierungsjahr, um sich selber weiter zu entwickeln.“

Nicole Krökel, 23 Jahre:
„Freiwilligendienst ist die Möglichkeit, sich auszutoben und Verantwortung zu übernehmen.“

Kathrin Geissler, 42 Jahre:
„Freiwilligendienst ist die Chance, einen Entwicklungsschritt in seinem Leben zu gehen.“

Speed-Dating und Erfolge feiern

Im Workshop 5 ging es um Formen der Anerkennung und Wertschätzung im Freiwilligendienst – auch mit ganz praktischen Hinweisen.
von Andreas Münch

Welche Formen der Anerkennung und Wertschätzung gibt es innerhalb der Freiwilligendienste? Wie können diese Formen verstärkt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Gruppe, die sich um die Moderatorin Kirsten Mengewein von der „Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V.“ und ihrer Expertin Anja Schütze von der „Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.“ versammelt hatte.
Gleich zu Anfang stellen die Referenten klar, dass Anerkennung und Wertschätzung im Freiwilligendienst kein Mythos, aber ungeheuer wichtig für die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen sind.

Beim Speed-Dating wurde Wert auf Wertschätzung gelegt.

Beim Speed-Dating wurde Wert auf Wertschätzung gelegt.

Mit einer Speeddating-Methode sollten sich die Teilnehmer über verschiedene Fragen austauschen; auch, wann sie das letzte Mal jemandem ihre Wertschätzung gezeigt haben.
In Bezug auf die richtigen Formen der Anerkennung waren sich die meisten einig: Sie soll nicht finanziell, sondern unaufwändig, verbal und dicht nach der Handlung erfolgen, um Erfolg und Wirkung zu haben. Auch im Arbeitsalltag war den Teilnehmern der Gruppe die Rolle der Anerkennung, vor allem in Zusammenarbeit mit Freiwilligen, sehr wichtig und bewusst. Wenn beispielsweise größere Projekte bewältigt werden, soll so eine nachhaltige Motivation geschaffen werden, erneut solch ein Projekt zu durchzuführen.
Die Referentinnen stellten verschiedenen Arten der Anerkennung vor. Neben der monetären wurden auch geldwerte Anerkennung wie Vergünstigungen, Eintrittskarten und die Anerkennung durch das Einräumen von Verantwortungsräumen erläutert.
Wichtig sei außerdem, bei Problemen nicht die Fehler aufzuzeigen, sondern die Ressourcen und Stärken der Freiwilligen zu fördern, so dass sich die Probleme leichter lösen lassen. Die Reflexion vergangener Erfolge spielt dabei eine zentrale Rolle, um auch in Zukunft durch Rückblick auf das eigene Erreichte für Motivation zu sorgen.

Mehr als nur eine Zeit der Überbrückung

Der Workshop „Freiwilligendienste – Bildung – Mehrwert“ ging dem Wert und auch dem Preis der Freiwilligendienste auf den Grund.
von Stefanie Kakoschke

Mit 14 interessierten Teilnehmer startete der Workshop zum Thema „Freiwilligendienste – Bildung – Mehrwert“ in die erste Runde. Katja Hartge-Kanning vom DRK Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. eröffnete die Veranstaltung und begrüßte den Experten dieses Workshops, Stefan Malik vom BDKJ (Bund der deutschen katholischen Jugend), dem Dachverband der deutschen katholischen Jugendverbände mit Sitz in Berlin.

Stefan Malik, der selbst einen Freiwilligendienst sowie einen Zivildienst absolviert hat, ging in seinem Vortrag auf verschiedene Aspekte des Bildungsbegriffes im Rahmen des Freiwilligendienstes ein. So hat die Bildungsarbeit im Freiwilligendienst das Ziel, ein Interesse an gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen zu wecken, zur Auseinandersetzungen zu motivieren und zur Einmischung im politischen Prozess zu befähigen. Gleichzeitig geht es aber auch um Prozesse der Persönlichkeitsbildung und der Förderung von Selbstkompetenz und der sozialen Kompetenz.

Stefan Malik vom BDKJ (Rechts im Bild)  erläutert Chancen des Freiwilligendienstes

Stefan Malik vom BDKJ (Rechts im Bild) erläutert Chancen des Freiwilligendienstes

Ein Freiwilligendienst ist eben mehr als nur ein Jahr der Überbrückung zwischen zwei Lebensabschnitten; es ermöglicht vielmehr eine berufliche Orientierung, das soziale Lernen in der Gruppe und das Lernen von Beteiligung und Mitbestimmung. Die Interessen von jungen Menschen finden in politischen Entscheidungsprozessen zu wenig Berücksichtigung, so Malik. Im Freiwilligendienst erhalten sie so die Chance, für ihre Interessen einstehen zu lernen.

Ein wichtiges Thema im Rahmen des Freiwilligendienstes ist auch die Finanzierung der Bildungsarbeit. Im Bundeshaushalt wurde für das Freiwillge Soziale Jahr für den Jahrgang 2013/14 ein Etat von 70 Millionen Euro eingestellt.
Davon wird das FSJ monatlich mit rund 120 Euro pro Teilnehmer vom Bund gefördert.
Die monatlichen Bildungsausgaben der Träger liegen pro Freiwilligen zwischen 180 und 280 Euro. Die Differenz zwischen der Förderung durch den Bund und die tatsächlichen Ausgaben für die einzelne Stelle muss vom Träger über Eigen- oder Drittmittel bestritten werden.
Im Bundeshaushalt 2014 ist ein Budget in gleichbleibender Höhe für BFD und  Jugendfreiwilligendienste geplant. Gleichzeitig informierte das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftlichen Aufgaben, dass für das Jahr 2014 keine neuen BFD-Verträge abgeschlossen werden. Das bedeutet quasi einen Einstellungsstopp für den Freiwilligendienst.

Kann es denn zu viel Freiwilligkeit geben?

Nur kein „Geht mich ja alles nichts an!„

Staatssekretärin Anja Naumann über Ehrenamt und Freiwilligkeit und ihren gewandelten Blick auf Jugend.
von Ariane Kleibrink

 

Anja Naumann, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt

Anja Naumann, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Freiwilligendienst und Ehrenamt gemacht?
„Als Geschäftsführerin der SPD-Stadtratsfraktion habe ich mehrfach FSJler im Bereich der Politik begleitet. Im Vordergrund stand dabei der Bildungsaspekt: Wie gebe ich einem jungen Menschen auf den Weg in sein Leben oder Berufsleben Orientierung, Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, sich im Team eingliedern, Darstellung und Zurücknehmen von eigenen Ansprüchen.
Das war unglaublich spannend, weil es auch den Blick auf Jugendliche verändert; als Menschen, die etwas bewegen wollen und nicht sagen ‚Na, geht mich ja alles nichts an’„

Wie kann die Politik Freiwilligen Anerkennung leisten?
„Ganz wesentlich ist, nicht über materielle Anerkennung zu reflektieren oder zu sprechen. Das ist auch ein Teil, aber nicht der Entscheidende. Wir brauchen flankierend eine Akzeptanz auch in der Politik für die verschiedenen Formen von Freiwilligenarbeit und müssen eher darauf achten, dass sie nicht sozial politisch eingesetzt werden. Freiwilligendienst kann nicht als Äquivalent oder Substitut für reguläre Arbeit und Beruf herangezogen werden.„

Wie sehen Sie die kommenden 50 Jahre Freiwilligen Dienst?
„Spannend! Es sind Veränderungen in der Gesellschaft im Gange, in der Orientierung von Jugendlichen, im Einbezug in die Gesellschaft.
Da sind ökonomische Prozesse, die flankieren und mit einfließen, es wird ein spannender Prozess sein.„

Wie geht es weiter im Freiwilligendienst?

Seit 50 Jahren gibt es in Deutschland das Freiwillige Soziales Jahr (FSJ) in den unterschiedlichsten Bereichen. Dieses Jubiläum haben die verantwortlichen Träger genutzt, um dem 1. Fachtag zum Thema „Was ist uns Bildung wert“ zu organisieren. Politikorange fragte Kirsten Mengewein, Bereichsleitung FWD Kultur und Bildung bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V. und Kathrin Geissler, Geschäftsstellenleiterin des Landesjugendwerks der Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt e.V. nach ihren Zielen, Wünschen und eigenen Erfahrungen.
von Julia Hohn

Was sind die stärksten Beweggründe für einen Freiwilligendienst?
Kirsten Mengewein: „Durch eigene Erfahrungen sowie Auswertungen können wir sagen, das zu den häufigsten Gründen die Neuorientierung oder Überbrückung zählt. Auch die praktische Arbeit im Vergleich zu Schule oder Studium sind ein wichtiges Kriterium. Hinzu kommt, dass der Horizont erweitert oder einfach anderen Menschen geholfen werden möchte.„
Kathrin Geissler: „Auch Referenzen für den Lebenslauf spielen eine Rolle, aber die sind bei den meisten nicht der Hauptgrund.„

Welche Vorteile haben die Einsatzstellen von einem Freiwilligen?
Kirsten Mengewein: „Junge Menschen bringen Ideen und frischen Wind in die jeweilige Einsatzstelle. Sie hinterfragen auch einmal bestehende Strukturen und tragen viel dazu bei, dass positive Veränderungen entstehen. Außerdem können sich die Freiwilligen an eigenen Projekten ausprobieren und damit Eigenverantwortung übernehmen.„
Kathrin Geissler: „Gerade bei Wohlfahrtsverbänden ist es wichtig für Nachwuchs zu sorgen. Hier ist es wichtig, dass eine Bindung zum Träger entsteht, die für die zukünftige Berufswahl ausschlaggebend sein kann.„

Was wünscht ihr euch als Vertreter der Träger aus Sachsen-Anhalt für die Zukunft?
Kirsten Mengewein: „Vor allem muss sich auf politischer Ebene etwas ändern. Zum einen meine ich das Finanzielle. Die Freiwilligen erhalten lediglich ein Taschengeld, das den Lebensunterhalt nicht abdeckt. Auch bürokratische Wege, z.B. für einen Wohngeldantrag, zeigen sich als große Hürde.„
Kathrin Geissler: „Ein ganz wichtiger Faktor ist vor allem die Anerkennung von den Trägern, Einsatzstellen sowie dem Land und dem Bund. Von Vorteil wäre auch eine Vergünstigung oder kostenlose Mitfahrmöglichkeit bei den Städtischen Verkehrsbetrieben oder bei der Deutschen Bahn. Hierzu liefen zwar bereits mehrere Gespräche, doch eine abschließende Einigung ist leider nie zu Stande gekommen. Wichtig ist vor allem auch die mediale Berichterstattung. Aus Erfahrungswerten wissen wir, dass mit dem Bundesfreiwilligendienst mehr Menschen etwas in Verbindung setzten können, als mit dem FSJ, obwohl es dieses bereits seit 50 Jahren gibt und der BFD erst seit 2011 besteht.„

Woher kommt das?
Kathrin Geissler: „Der Bundesfreiwilligendienst kam sehr abrupt, jedoch von Bundesebene. Aus diesem Grund wurde es medialer und vor allem durch gute Marketingmethoden begleitet. Anders als beim FSJ. Hier obliegt die Öffentlichkeitsarbeit bei den einzelnen Trägern, wofür meist die Zeit fehlt.„
Kirsten Mengewein: „Wir sind durch die schnelle und strukturelle Umgewöhnung als Träger auch an unsere Grenzen gekommen. So mussten beispielsweise entsprechende Konzepte erarbeitet werden, da die Bundesfreiwilligen andere Bedürfnisse haben und unterschiedliche Regularien beachtet werden müssen.„

Wenn es das FSJ oder den BFD nicht mehr geben würde, dann …
Kathrin Geissler: „…würden rund 100.000 Menschen, die derzeit einen Freiwilligendienst in Deutschland absolvieren, in den verschiedensten Bereichen fehlen. Vor allem die Pflegebereiche sind auf viele Freiwillige angewiesen, die nicht immer fachliche Kompetenzen mitbringen, aber die Menschen auf persönlicher Ebene unterstützen.„
Kirsten Mengewein: „…wäre das Land um viele engagierte und tolle Menschen ärmer, die aus Überzeugung freiwillig sowie ohne Zwang arbeiten und keine große Gegenleistung dafür verlangen.

Kirsten Mengewein, Koordinatorin des FSJ Kultur bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt (lkj) und Katrin Geißler, Fachbereichsleiterin für den Freiwilligendienst des Landesjugendwerks der AWO

Kirsten Mengewein, Koordinatorin des FSJ Kultur bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt (lkj) und Katrin Geißler, Fachbereichsleiterin für den Freiwilligendienst des Landesjugendwerks der AWO

Was ist uns Bildung wert? Ein Einstieg.

Zum 50. Geburtstag des Freiwilligen Sozialen Jahres gab es am 20. März im Ministerium für Arbeit und Soziales die erste Fachtagung in Sachsen-Anhalt zum Thema „Was ist uns Bildung wert?“
von Katharina Kurby

Die Besonderheit der Fachtagung lag darin, dass sich erstmals alle Wohlfahrtsverbände sowie der internationale Bund IB Mitte gGmbH für Bildung und soziale Dienste und die Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (lkj) gemeinsam versammelten. Die Träger wollten darauf aufmerksam machen, das Freiwilligendienst wichtig ist. Dabei ging es den Organisatoren vor allem die Vernetzung mit anderen Einrichtungen.

über hundert Teilnehmer Tauschten sich auf der Fachtagung aus und debattierten über die Zukunft des Freiwilligendienstes

Über hundert Teilnehmer tauschten sich auf der Fachtagung aus und debattierten über die Zukunft des Freiwilligendienstes

Das Freiwillige Soziale Jahr bietet die Möglichkeit eines Übergang in die berufliche Ausbildung für Jugendliche. Neben dem persönlichen Aspekt ist auch der gesellschaftliche Blick durch eigene und individuelle Erfahrung möglich. Seit dem 17.08.1964 ist das Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres in Kraft.

50 Jahre Bundesfreiwilligendienst heißt Engagement und Einsatz von Menschen verschiedener Altersgruppen und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Die Landesgeschäftsführerin des paritätischen Wohlfahrtsverband in Sachsen-Anhalt, Dr. Gabriele Girke eröffnete die Tagung im Ministerium. Dabei betonte sie: „Der Wert von Freiwilligendiensten ist unbestritten hoch, doch der Mehrwert wird sträflich unterschätzt“. Anja Naumann, Staatssekretärin im Arbeits- und Sozialministerium sprach den Freiwilligen ihre Anerkennung aus: „50 Jahre bieten Anlass zurück und nach vorn zu blicken. Freiwillige Arbeit wird ohne Gegenleistung vollbracht“.

Als letzter Gastredner sprach Prof. Dr. Richard Münchmeier: „Für mich tragen Freiwilligendienste einen zentralen Teil zur Zivilgesellschaft bei.“ Während seines Vortrages betrachtete er unter anderem den aktuellen Stand des Freiwilligendienstes, den Wandel der Motive sowie die Bindung an den Verband. Selbstverwirklichung, Wirksamkeit, Gemeinschaft und Sinnerfahrung geben laut Münchmeier einen Ausblick für Freiwillige. Eine besondere Form des gesellschaftlichen Engagements soll weiterhin aktiv gestaltet werden und noch mehr Möglichkeiten bieten um sich zu entfalten und dabei gleichzeitig anderen Menschen zu helfen. „Ich sehe es als wichtig an, dass ein Freiwilligendienst auch freiwillig bleibt. Das bedeutet, dass ein FSJ oder BFD nicht zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt dienen soll, sondern andere Motivation, wie die persönliche Bildung im Vordergrund steht.“

Nach den drei aufschlussreichen Gastvorträgen konnten die Teilnehmer in sechs verschiedenen Workshops diskutieren, sich neue Ideen holen sowie Erfahrungswerte von ehemaligen Freiwilligen anhören und Fragen stellen.