Archiv der Kategorie: Fachtag Freiwilligendienste

Editorial

von Ariane Kleibrink

Es gibt viele Möglichkeiten sich zu engagieren. Manche schenken der Gesellschaft ein ganzes Jahr oder mehr, in dem sie ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Unermüdlichen Einsatz zeigen die Freiwilligen in sozialen, kulturellen, politischen und pflegerischen Bereichen. Einen Mehrwert soll es nicht nur für die Freiwilligen, sondern auch für die Einsatzstellen geben.
Als Arbeitsdienst darf der Freiwilligen Dienst jedoch nicht verstanden werden, sondern als zusätzliche, begleitende Unterstützung, betont Prof. Dr. Richard Münchmeier in seinem Impulsreferat. Einsatzstellen müssen sich als Bildungsorte verstehen, die Anregung zur Selbstbildung bieten, sich in einer Welt mit zahlreichen Wahlmöglichkeiten orientieren zu lernen. Hauptmotive junger Engagierter sind die eigene Weiterentwicklung, Sinnvolles für andere beizutragen und den Zusammenhalt in der Gruppe zu erfahren.
Die Aufgabe der pädagogischen Begleitung durch Träger und Einsatzstellen sieht Münchmeier als mindestens genauso herausfordernd wie die Lehrertätigkeit in der Schule.
Diese Begleitung ist jedoch von Bundesland zu Bundesland, von Träger zu Träger unterschiedlich gestaltet und sollte seiner Meinung nach einheitliche Ziele verfolgen.
Die Anzahl derer, die einen Bundesfreiwilligendienst leisten, liegt aktuell (Stand Februar 2014) bei 48 996 in ganz Deutschland laut einer Erhebung des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Dazu kommen noch all jene Freiwillige in den verschiedenen Formen des FSJ. Für ein Taschengeld übernehmen sie Verantwortung und anspruchsvolle Aufgaben für die Gesellschaft.
Drängt sich da nicht die Frage auf, wie Motivation über ein ganzes Jahr aufrecht gehalten werden kann?
Der heutige Austausch in den Workshops hat gezeigt, dass wertschätzende Anerkennung und gesammelte Lebenserfahrungen für den Freiwilligen ebenso im Fokus stehen wie finanzielle Entlohnung.

„Etwas für sich gewinnen“ – Interview mit Prof. Richard Münchmeier

Richard Münchmeier war Professor für Sozial- und Jugendpädagogik in Kassel, Leipzig und an der FU Berlin, leitete die Abteilung für Jugend- und Jugendhilfeforschung am Deutschen Jugendinstitut und war langjähriges Mitglied im Bundesjugendkuratorium.

Prof. Richard Münchmeier hielt das Impulsreferat auf dem Fachtag Freiwilligendienste – Was ist uns Bildung wert? zum 50. Jahrestag der Freiwilligendienste am 20. März 2014 in Magdeburg

Fruchtfleisch: Was bedeutet für dich Freiwilligendienst?

„QUALIFIZIERUNGSJAHR“
„SICH AUSTOBEN“
„ENTWICKLUNGSSCHRITT“
Christian Tischer, 23 Jahre:
„Freiwilligendienst ist ein Qualifizierungsjahr, um sich selber weiter zu entwickeln.“

Nicole Krökel, 23 Jahre:
„Freiwilligendienst ist die Möglichkeit, sich auszutoben und Verantwortung zu übernehmen.“

Kathrin Geissler, 42 Jahre:
„Freiwilligendienst ist die Chance, einen Entwicklungsschritt in seinem Leben zu gehen.“

Speed-Dating und Erfolge feiern

Im Workshop 5 ging es um Formen der Anerkennung und Wertschätzung im Freiwilligendienst – auch mit ganz praktischen Hinweisen.
von Andreas Münch

Welche Formen der Anerkennung und Wertschätzung gibt es innerhalb der Freiwilligendienste? Wie können diese Formen verstärkt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Gruppe, die sich um die Moderatorin Kirsten Mengewein von der „Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V.“ und ihrer Expertin Anja Schütze von der „Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.“ versammelt hatte.
Gleich zu Anfang stellen die Referenten klar, dass Anerkennung und Wertschätzung im Freiwilligendienst kein Mythos, aber ungeheuer wichtig für die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen sind.

Beim Speed-Dating wurde Wert auf Wertschätzung gelegt.

Beim Speed-Dating wurde Wert auf Wertschätzung gelegt.

Mit einer Speeddating-Methode sollten sich die Teilnehmer über verschiedene Fragen austauschen; auch, wann sie das letzte Mal jemandem ihre Wertschätzung gezeigt haben.
In Bezug auf die richtigen Formen der Anerkennung waren sich die meisten einig: Sie soll nicht finanziell, sondern unaufwändig, verbal und dicht nach der Handlung erfolgen, um Erfolg und Wirkung zu haben. Auch im Arbeitsalltag war den Teilnehmern der Gruppe die Rolle der Anerkennung, vor allem in Zusammenarbeit mit Freiwilligen, sehr wichtig und bewusst. Wenn beispielsweise größere Projekte bewältigt werden, soll so eine nachhaltige Motivation geschaffen werden, erneut solch ein Projekt zu durchzuführen.
Die Referentinnen stellten verschiedenen Arten der Anerkennung vor. Neben der monetären wurden auch geldwerte Anerkennung wie Vergünstigungen, Eintrittskarten und die Anerkennung durch das Einräumen von Verantwortungsräumen erläutert.
Wichtig sei außerdem, bei Problemen nicht die Fehler aufzuzeigen, sondern die Ressourcen und Stärken der Freiwilligen zu fördern, so dass sich die Probleme leichter lösen lassen. Die Reflexion vergangener Erfolge spielt dabei eine zentrale Rolle, um auch in Zukunft durch Rückblick auf das eigene Erreichte für Motivation zu sorgen.

Mehr als nur eine Zeit der Überbrückung

Der Workshop „Freiwilligendienste – Bildung – Mehrwert“ ging dem Wert und auch dem Preis der Freiwilligendienste auf den Grund.
von Stefanie Kakoschke

Mit 14 interessierten Teilnehmer startete der Workshop zum Thema „Freiwilligendienste – Bildung – Mehrwert“ in die erste Runde. Katja Hartge-Kanning vom DRK Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. eröffnete die Veranstaltung und begrüßte den Experten dieses Workshops, Stefan Malik vom BDKJ (Bund der deutschen katholischen Jugend), dem Dachverband der deutschen katholischen Jugendverbände mit Sitz in Berlin.

Stefan Malik, der selbst einen Freiwilligendienst sowie einen Zivildienst absolviert hat, ging in seinem Vortrag auf verschiedene Aspekte des Bildungsbegriffes im Rahmen des Freiwilligendienstes ein. So hat die Bildungsarbeit im Freiwilligendienst das Ziel, ein Interesse an gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen zu wecken, zur Auseinandersetzungen zu motivieren und zur Einmischung im politischen Prozess zu befähigen. Gleichzeitig geht es aber auch um Prozesse der Persönlichkeitsbildung und der Förderung von Selbstkompetenz und der sozialen Kompetenz.

Stefan Malik vom BDKJ (Rechts im Bild)  erläutert Chancen des Freiwilligendienstes

Stefan Malik vom BDKJ (Rechts im Bild) erläutert Chancen des Freiwilligendienstes

Ein Freiwilligendienst ist eben mehr als nur ein Jahr der Überbrückung zwischen zwei Lebensabschnitten; es ermöglicht vielmehr eine berufliche Orientierung, das soziale Lernen in der Gruppe und das Lernen von Beteiligung und Mitbestimmung. Die Interessen von jungen Menschen finden in politischen Entscheidungsprozessen zu wenig Berücksichtigung, so Malik. Im Freiwilligendienst erhalten sie so die Chance, für ihre Interessen einstehen zu lernen.

Ein wichtiges Thema im Rahmen des Freiwilligendienstes ist auch die Finanzierung der Bildungsarbeit. Im Bundeshaushalt wurde für das Freiwillge Soziale Jahr für den Jahrgang 2013/14 ein Etat von 70 Millionen Euro eingestellt.
Davon wird das FSJ monatlich mit rund 120 Euro pro Teilnehmer vom Bund gefördert.
Die monatlichen Bildungsausgaben der Träger liegen pro Freiwilligen zwischen 180 und 280 Euro. Die Differenz zwischen der Förderung durch den Bund und die tatsächlichen Ausgaben für die einzelne Stelle muss vom Träger über Eigen- oder Drittmittel bestritten werden.
Im Bundeshaushalt 2014 ist ein Budget in gleichbleibender Höhe für BFD und  Jugendfreiwilligendienste geplant. Gleichzeitig informierte das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftlichen Aufgaben, dass für das Jahr 2014 keine neuen BFD-Verträge abgeschlossen werden. Das bedeutet quasi einen Einstellungsstopp für den Freiwilligendienst.

Kann es denn zu viel Freiwilligkeit geben?

Nur kein „Geht mich ja alles nichts an!„

Staatssekretärin Anja Naumann über Ehrenamt und Freiwilligkeit und ihren gewandelten Blick auf Jugend.
von Ariane Kleibrink

 

Anja Naumann, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt

Anja Naumann, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Freiwilligendienst und Ehrenamt gemacht?
„Als Geschäftsführerin der SPD-Stadtratsfraktion habe ich mehrfach FSJler im Bereich der Politik begleitet. Im Vordergrund stand dabei der Bildungsaspekt: Wie gebe ich einem jungen Menschen auf den Weg in sein Leben oder Berufsleben Orientierung, Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, sich im Team eingliedern, Darstellung und Zurücknehmen von eigenen Ansprüchen.
Das war unglaublich spannend, weil es auch den Blick auf Jugendliche verändert; als Menschen, die etwas bewegen wollen und nicht sagen ‚Na, geht mich ja alles nichts an’„

Wie kann die Politik Freiwilligen Anerkennung leisten?
„Ganz wesentlich ist, nicht über materielle Anerkennung zu reflektieren oder zu sprechen. Das ist auch ein Teil, aber nicht der Entscheidende. Wir brauchen flankierend eine Akzeptanz auch in der Politik für die verschiedenen Formen von Freiwilligenarbeit und müssen eher darauf achten, dass sie nicht sozial politisch eingesetzt werden. Freiwilligendienst kann nicht als Äquivalent oder Substitut für reguläre Arbeit und Beruf herangezogen werden.„

Wie sehen Sie die kommenden 50 Jahre Freiwilligen Dienst?
„Spannend! Es sind Veränderungen in der Gesellschaft im Gange, in der Orientierung von Jugendlichen, im Einbezug in die Gesellschaft.
Da sind ökonomische Prozesse, die flankieren und mit einfließen, es wird ein spannender Prozess sein.„

Wie geht es weiter im Freiwilligendienst?

Seit 50 Jahren gibt es in Deutschland das Freiwillige Soziales Jahr (FSJ) in den unterschiedlichsten Bereichen. Dieses Jubiläum haben die verantwortlichen Träger genutzt, um dem 1. Fachtag zum Thema „Was ist uns Bildung wert“ zu organisieren. Politikorange fragte Kirsten Mengewein, Bereichsleitung FWD Kultur und Bildung bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V. und Kathrin Geissler, Geschäftsstellenleiterin des Landesjugendwerks der Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt e.V. nach ihren Zielen, Wünschen und eigenen Erfahrungen.
von Julia Hohn

Was sind die stärksten Beweggründe für einen Freiwilligendienst?
Kirsten Mengewein: „Durch eigene Erfahrungen sowie Auswertungen können wir sagen, das zu den häufigsten Gründen die Neuorientierung oder Überbrückung zählt. Auch die praktische Arbeit im Vergleich zu Schule oder Studium sind ein wichtiges Kriterium. Hinzu kommt, dass der Horizont erweitert oder einfach anderen Menschen geholfen werden möchte.„
Kathrin Geissler: „Auch Referenzen für den Lebenslauf spielen eine Rolle, aber die sind bei den meisten nicht der Hauptgrund.„

Welche Vorteile haben die Einsatzstellen von einem Freiwilligen?
Kirsten Mengewein: „Junge Menschen bringen Ideen und frischen Wind in die jeweilige Einsatzstelle. Sie hinterfragen auch einmal bestehende Strukturen und tragen viel dazu bei, dass positive Veränderungen entstehen. Außerdem können sich die Freiwilligen an eigenen Projekten ausprobieren und damit Eigenverantwortung übernehmen.„
Kathrin Geissler: „Gerade bei Wohlfahrtsverbänden ist es wichtig für Nachwuchs zu sorgen. Hier ist es wichtig, dass eine Bindung zum Träger entsteht, die für die zukünftige Berufswahl ausschlaggebend sein kann.„

Was wünscht ihr euch als Vertreter der Träger aus Sachsen-Anhalt für die Zukunft?
Kirsten Mengewein: „Vor allem muss sich auf politischer Ebene etwas ändern. Zum einen meine ich das Finanzielle. Die Freiwilligen erhalten lediglich ein Taschengeld, das den Lebensunterhalt nicht abdeckt. Auch bürokratische Wege, z.B. für einen Wohngeldantrag, zeigen sich als große Hürde.„
Kathrin Geissler: „Ein ganz wichtiger Faktor ist vor allem die Anerkennung von den Trägern, Einsatzstellen sowie dem Land und dem Bund. Von Vorteil wäre auch eine Vergünstigung oder kostenlose Mitfahrmöglichkeit bei den Städtischen Verkehrsbetrieben oder bei der Deutschen Bahn. Hierzu liefen zwar bereits mehrere Gespräche, doch eine abschließende Einigung ist leider nie zu Stande gekommen. Wichtig ist vor allem auch die mediale Berichterstattung. Aus Erfahrungswerten wissen wir, dass mit dem Bundesfreiwilligendienst mehr Menschen etwas in Verbindung setzten können, als mit dem FSJ, obwohl es dieses bereits seit 50 Jahren gibt und der BFD erst seit 2011 besteht.„

Woher kommt das?
Kathrin Geissler: „Der Bundesfreiwilligendienst kam sehr abrupt, jedoch von Bundesebene. Aus diesem Grund wurde es medialer und vor allem durch gute Marketingmethoden begleitet. Anders als beim FSJ. Hier obliegt die Öffentlichkeitsarbeit bei den einzelnen Trägern, wofür meist die Zeit fehlt.„
Kirsten Mengewein: „Wir sind durch die schnelle und strukturelle Umgewöhnung als Träger auch an unsere Grenzen gekommen. So mussten beispielsweise entsprechende Konzepte erarbeitet werden, da die Bundesfreiwilligen andere Bedürfnisse haben und unterschiedliche Regularien beachtet werden müssen.„

Wenn es das FSJ oder den BFD nicht mehr geben würde, dann …
Kathrin Geissler: „…würden rund 100.000 Menschen, die derzeit einen Freiwilligendienst in Deutschland absolvieren, in den verschiedensten Bereichen fehlen. Vor allem die Pflegebereiche sind auf viele Freiwillige angewiesen, die nicht immer fachliche Kompetenzen mitbringen, aber die Menschen auf persönlicher Ebene unterstützen.„
Kirsten Mengewein: „…wäre das Land um viele engagierte und tolle Menschen ärmer, die aus Überzeugung freiwillig sowie ohne Zwang arbeiten und keine große Gegenleistung dafür verlangen.

Kirsten Mengewein, Koordinatorin des FSJ Kultur bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt (lkj) und Katrin Geißler, Fachbereichsleiterin für den Freiwilligendienst des Landesjugendwerks der AWO

Kirsten Mengewein, Koordinatorin des FSJ Kultur bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt (lkj) und Katrin Geißler, Fachbereichsleiterin für den Freiwilligendienst des Landesjugendwerks der AWO